Die 10 größten Mängel des Entwurfs zum Bundesteilhabegesetz

Ein gutes Teilhabegesetz ist überfällig! Menschen, die mit Assistenz leben, muss ein einkommens- und vermögensunabhängiger Zugang und eine Finanzierung von Assistenzleistungen niederschwellig ermöglicht werden, anstatt weitere Bürokratiebarrieren aufzubauen.
Diese 10 gravierenden Mängel des geplanten Entwurfes kritisieren behinderte Menschen unter dem Hashtag #NichtMeinGesetz in ganz Deutschland massivst:

  1. Die Mogelpackung schlechthin
    Sind behinderte Menschen auf Persönliche Assistenz angewiesen, erhalten sie zumeist Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege. Doch nur die Eingliederungshilfe wird aus dem Sozialhilferecht herausgelöst, die Hilfe zur Pflege bleibt Sozialhilfe. Das bedeutet, dass eventuelle Verbesserungen in der Eingliederungshilfe diesen Betroffenen rein gar nichts bringen! (§ 91 I SGB IX)
    Update: Laut des dem Kabinettsbeschluss zugrunde liegenden Entwurfes werden Personen, die Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege erhalten jetzt den günstigeren Regelungen der Eingliederungshilfe unterstellt, wenn sie erwerbstätig sind und außerhalb eines Heimes wohnen. Mit dem 1. Tag der Rente werden aber auch diese Personen sofort wieder in die Sozialhilfe gestürzt.
    Update 29.11.2016: Personen die auf die Leistungen von Hilfe zur Pflege angewiesen sind, profitieren jetzt bei den Vermögensregelungen von den Verbesserungen der Eingliederungshilfe – auch in der Rente, sofern Eingliederungshilfe erstmals vor Eintritt ins Rentenalter bezogen wurde. In der Einkommensfrage hat sich nichts geändert.
  2. Selbstbestimmt leben? Nur wenn es günstiger und nicht unangemessen ist.
    Bisher galt der Grundsatz: ambulant vor stationär. Also es ist besser man wohnt zu Hause oder in einer eigenen Wohnung, als in einem Heim. Dieser Vorrang entfällt, sodass das Wohnen in den eigenen vier Wänden künftig oft nur dann „erlaubt“ werden wird, wenn es günstiger ist oder ein Leben im Heim unzumutbar ist. (§104 II SGB IX)
    Update: Keine Änderung. Nur in der Begründung wurde als „Bestandsschutz“ hinzugefügt, dass das, was vorher angemessen war, auch angemessen bleibt. Das ist gut für die, die wohnen, wie sie möchten, aber eine Katastrophe für diejenigen, die noch im Heim leben müssen oder erstmals von ihren Eltern ausziehen möchten.
    Update 29.11.2016: Es wird nun im § 104 dreifach auf die gewünschte Wohnform hingewiesen. Unklar bleibt aber, ob und wann ein Kostenvergleich vorzunehmen ist.
  3. Individuelles Leben – Fehlanzeige
    Nach dem Entwurf können viele Hilfen zwangsweise für mehrere Betroffene gleichzeitig erfolgen – das sogenannte „Poolen von Leistungen“. Individuelle Aktivitäten, wie sich mit Freunden treffen oder Kinobesuche, sind dann unmöglich. Es droht ein zwangsweises Leben in WGs und Heimstrukturen. (z.B. §116 II und §112 IV SGB IX)
    Update: Keine Änderung.
    Update 29.11.2016: Alles beim Alten. Ausnahme: Assistenzleistungen die im Zusammenhang mit dem Wohnen im Bereich der Gestaltung sozialer Beziehungen und der persönlichen Lebensplanung stehen, sind vom Poolen ausgenommen. Andere Bereiche der Assistenz und generell andere Leistungen der Eingliederungshilfe können weiterhin gepoolt werden.
  4. Behinderte dürfen nicht sparen
    Um die lebensnotwendigen Hilfen zu erhalten, dürfen behinderte Menschen kaum Geld sparen. Von ihrem Einkommen wird ihnen – neben den normalen Steuern und Sozialabgaben – 24% des über dem Freibetrag liegenden Einkommens abgezogen und Vermögen, also auch Bausparverträge oder Lebensversicherungen, dürfen sie nicht in einem Wert von mehr als zunächst 25.000 € besitzen (§137 II und §140 SGB IX). Bei Hilfe zur Pflege verbleibt es im Grundsatz bei 2.600 €.
    Update: Keine Änderung.
    Update 29.11.2016: Hinsichtlich der Vermögensgrenze bei der Hilfe zur Pflege wurde diese, sofern Eingliederungshilfe UND Hilfe zur Pflege bezogen werden, gleichgesetzt.
  5. Willst du mit einem behinderten Menschen zusammenleben? Gib dein Geld her!
    Wer mit einem behinderten Menschen in einer Partnerschaft lebt, muss – sobald man zusammen wohnt – so lange alle Hilfen für den Partner zahlen, bis er selbst weniger als 25.000 € besitzt. Ein geerbtes Elternhaus – weg. Eine Lebensversicherung – weg. (§140 I SGB IX)
    Bei Hilfe zur Pflege ist auch weiterhin zusätzlich auch ein Großteil des Partnereinkommens – weg.
    Update: Das Vermögen des Partners ist in der neuen Fassung ebenso wie das Einkommen des Partners nicht mehr heranzuziehen. Allerdings gilt beides weiterhin nur für die Eingliederungshilfe, nicht für die Hilfe zur Pflege.
    Update 29.11.2016: Das Vermögen des Partners ist bei der Beziehung von Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege frei gestellt. An der Einkommensregelung hat sich aber nichts geändert.
  6. Behinderte sind nicht behindert genug
    Um Hilfen zu erhalten, muss man laut dem Entwurf in 5 von 9 Lebensbereichen eingeschränkt sein (§ 99 SGB IX). Wer z.B. aufgrund einer Sehbehinderung Hilfe zur Mobilität und beim Lernen benötigt, ist nicht behindert genug, um Eingliederungshilfe beanspruchen zu können.
    Update: Die völlig unverständliche Anforderung wurde im Grundsatz beibehalten. Das Amt kann jedoch jetzt „nach freiem Ermessen“ die Hilfen auch Personen gewähren, die die Voraussetzung nicht erfüllen – muss es aber nicht.
    Update 29.11.2016: Diese Regelung wird ausgesetzt und soll in den nächsten Jahren wissenschaftlich evaluiert werden. Sie soll ggfs. im Jahr 2023 inkrafttreten.
  7. Mit anderen Menschen kommunizieren? Nur wenn es wirklich wichtig ist!
    Hör- oder sprachbehinderte Menschen sollen nur dann Hilfen zur Kommunikation erhalten, wenn das aus „besonderem Anlass“ nötig ist. Sich mit Freunden, Bekannten oder der Kassiererin im Supermarkt verständigen – unwichtig. (§82 SGB IX)
    Update: Keine Änderung.
    Update 29.11.2016: Keine Änderung.
  8. Im Ausland studieren oder Entwicklungshilfe leisten? Nur wenn es billig ist!
    Hält sich ein behinderter Mensch vorübergehend im Ausland auf, erhält er dort nur dann Hilfen, wenn diese im Vergleich zu Deutschland bei gleicher Qualität günstiger sind. Ein Auslandssemester oder für eine Entwicklungshilfe-Organisation zu arbeiten – fast unmöglich. (§31 SGB IX)
    Update: Keine Änderung.
    Update 29.11.2016: Keine Änderung.
  9. Ein Behinderter will ehrenamtlich helfen? Dann soll er doch erstmal selbst um Hilfe betteln!
    Behinderte Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten, erhalten hierfür keine Assistenz mehr. Sie sollen Familie, Freunde oder Nachbarn fragen. Andere Möglichkeiten sind nicht mehr vorgesehen. (§ 78 Abs. 5 SGB IX)
    Update: Assistenz soll nach dem leicht geänderten Wortlaut wohl nicht mehr völlig ausgeschlossen sein, jedoch nur dann erbracht werden, wenn Hilfe durch Familie, Freunde oder Nachbarn nicht möglich ist.
    Update 29.11.2016: Keine Änderung.
  10. Eltern können ihren Kindern nicht helfen
    Wollen Eltern ihrem behinderten Kind als Absicherung etwas vererben, damit es z.B. nicht auf staatliche Grundsicherungsleistungen angewiesen ist, geht das nicht. Das Kind muss – wenn es Hilfe zur Pflege bekommt – weiterhin den kompletten Betrag, bis auf 2.600 €, abgeben.
    Update: Keine Änderung.
    Update 29.11.2016: Die generelle Grenze bei Grundsicherungsbezug hinsichtlich des Vermögens soll auf 5.000 € erhöht werden. Eltern, deren Kinder sowohl Hilfe zur Pflege als auch Eingliederungshilfe beziehen, können ab 2020 bis zu 50.000 € Vermögen besitzen. Wer allerdings ausschließlich Hilfe zur Pflege bezieht, der bleibt bei den alten Grenzen.

 

 

Darüber hinaus bestehen noch viele weitere Mängel am derzeitigen Entwurf des Bundesteilhabegesetzes, welche nach und nach hier und an anderen Stellen zusammengetragen werden. Hier soll nur eine Auswahl an besonders pikanten und dramatischen Verschlechterungen aufgeführt werden. Dazu gehören aber auch:

  • Der individuelle Anspruch auf einen Integrationshelfer an Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen wird faktisch gestrichen (§112 Abs. 4)
  • Pläne eines bundeseinheitlichen Teilhabegeldes, welches nicht nur die unterschiedlichen Höhen an Ausgleichszahlungen je Bundesland behoben, sondern vielen behinderten Menschen kulturelle Teilhabe erst ermöglichen würde, sind erst gar nicht zum Zuge gekommen.