Heute nahmen wir im Rahmen der Verbändebefassung Stellung zu einem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zur Umsetzung der Richtlinie über Standards für Gleichbehandlungsstellen. Dies soll durch eine Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geschehen. Der Entwurf des Gesetzes, sowie eine entsprechende Synopse haben wir verlinkt.

Unsere Stellungnahme lautet wie folgt:

Stellungnahme

Prozessstandschaft

AbilityWatch e. V. begrüßt die Einführung der Prozessstandschaft durch Antidiskriminierungsverbände. Viele von Diskriminierung betroffene Personen sind physisch oder psychisch nicht in der Lage, selbst einen Gerichtsprozess zu durchlaufen. Die Option, ihre Ansprüche durch Antidiskriminierungsverbände geltend machen zu lassen, stellt daher einen essenziellen Schritt zur Erleichterung des Zugangs zu Rechtsschutz dar. Diese Maßnahme stärkt die Möglichkeit für diskriminierte Personen, effektiven Rechtsschutz zu erhalten, ohne die enormen Hürden eines Gerichtsverfahrens allein durchstehen zu müssen.

Voraussetzungen für Antidiskriminierungsverbände (§ 23 AGG)

Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass die gem. § 23 Abs. 1 AGG derzeit zur Anerkennung als Antidiskriminierungsverband erforderliche Zahl von mindestens 75 Mitgliedern eine erhebliche Hürde darstellt, die viele kleinere, spezialisierte Organisationen ausschließt. Gerade die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen ist – aufgrund ihrer Spezialisierung auf oft seltene Erkrankungen – kleinteilig organisiert. Daher plädieren wir dafür, die Voraussetzung der Mindestmitgliederanzahl zu streichen, um eine niedrigschwellige Unterstützung für Menschen mit Behinderungen sicherzustellen. Es ist nicht erkennbar, welche Schutzfunktion die Limitierung auf Verbände mit mindestens 75 Mitgliedern bezwecken soll. Insbesondere im Hinblick auf die nun mögliche Prozessstandschaft bedeutet die Anforderung der Mindestmitgliederzahl eine Erschwernis für die Geltendmachung der Rechte Betroffener. 

Eine Änderung würde hier die Wirksamkeit und Zugänglichkeit der rechtlichen Unterstützung gerade für Menschen mit Behinderungen aufgrund seltener Erkrankungen erheblich verbessern und den besonderen Bedürfnissen dieser Personengruppe gerecht werden.

Barrierefreier Zugang zur Antidiskriminierungsstelle

AbilityWatch e. V. begrüßt die Bemühungen zur Sicherstellung eines barrierefreien Zugangs zur Antidiskriminierungsstelle, jedoch sollte der Ansatz umfassender gestaltet werden. Für viele Menschen mit Behinderungen ist es bereits eine Herausforderung, überhaupt Informationen über die Existenz der Antidiskriminierungsstelle zu erhalten. Daher ist eine proaktive Öffentlichkeitsarbeit notwendig, die gezielt Menschen mit Behinderungen anspricht. Ein proaktives Zugehen auf Menschen mit Behinderungen sowie eine ganzheitliche Beratung sind ebenso notwendig wie die Verbesserung der Fördermöglichkeiten, um sicherzustellen, dass die Antidiskriminierungsstelle als niedrigschwellige Anlaufstelle für alle Betroffenen zugänglich ist. Dies könnte durch gezielte Informationskampagnen, Kooperationen mit Antidiskriminierungsverbänden und die Nutzung moderner Kommunikationswege erreicht werden. Es ist entscheidend, dass die Informationen leicht zugänglich und in verständlicher Form bereitgestellt werden, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Es wird daher angemahnt, der ADS größere Ressourcen zur entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit nach § 27 Abs. 3 Punkt 1 zur Verfügung zu stellen. 

Beratung und Unterstützung

Die in § 27 Abs. 4 aufgenommene Beratung durch die Antidiskriminierungsstelle insbesondere hinsichtlich psychologischer Unterstützung für von Diskriminierung betroffene Personen stellt einen positiven Schritt dar. Diskriminierung kann zu gravierenden psychischen Belastungen führen – eine umfassende Beratung über Möglichkeiten und Anlaufstellen im Hinblick auf psychologische Hilfestellungen ist daher unverzichtbar. Es ist jedoch von zentraler Bedeutung, dass die Beratung auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten ist und auch die Vermittlung an spezialisierte Beratungsstellen einschließt.

Unklare Formulierungen und Anforderungen an schlichtende Personen

Es sei der Hinweis gestattet, dass der neue § 27 Abs. 4 sprachlich unglücklich formuliert ist und insoweit die Problematik des bisherigen Abs. 5 fortführt: Es ist doch anzunehmen, dass die ADS und die Beauftragten nicht “bei Benachteiligungen […] zusammenarbeiten” sollen, sondern bei Auftreten von Benachteiligungen. Eine klarere Formulierung wäre hier vielleicht angezeigt.

Schlichtungsstelle

Wir begrüßen die Einführung einer Schlichtungsstelle, die eine niedrigschwellige Möglichkeit der Streitbeilegung bietet. Anzumerken ist, dass die derzeitige Formulierung in § 27b Abs. 2 deklaratorisch feststellt, dass bei der Schlichtungsstelle beschäftigte Personen die Befähigung zum Richteramt haben. Gemeint ist, dass sie diese Voraussetzung bereits mitbringen müssen, sodass es hier „müssen über die Befähigung zum Richteramt verfügen“ heißen sollte. Die vorausgesetzten Erfahrungen im Zusammenhang mit der Richteramtsbefähigung halten wir für (zu) hoch. Besondere Sachkunde im Antidiskriminierungsrecht und die Fähigkeiten zur Durchführung einer Mediation sollten auch zeitnah durch Fortbildungen erworben werden können. Dies würde nicht nur die Anforderungen an schlichtende Personen praxisnaher gestalten, sondern auch sicherstellen, dass mehr Personen für die Stellen infrage kommen, ohne die inhaltlichen Voraussetzungen zu sehr herabzusetzen. Weiterhin sollte sichergestellt werden, dass die Schlichtungsstelle aktiv an der Verbesserung ihrer eigenen Kompetenzen arbeitet, beispielsweise durch regelmäßige Evaluierungen und Schulungen der schlichtenden Personen durch Verbände, die Menschen mit Diskriminierungserfahrungen repräsentieren.

Verpflichtende Teilnahme und Folgen bei Nichtteilnahme am Schlichtungsverfahren

Die verpflichtende Teilnahme der Gegenseite am Schlichtungsverfahren stellt einen positiven Aspekt dar. Es muss jedoch klargestellt werden, welche Konsequenzen eine Nichtteilnahme hätte und welche Befugnisse die Schlichtungsstelle in solchen Fällen besitzt. Da eine konkrete Rechtsfolge fehlt, ist zu befürchten, dass Antragsgegnerinnen oder -gegner die oft in AGG-Fällen vorkommende ökonomische Situation der betroffenen Person für sich ausnutzen wollen. Es sollte deutlich gemacht werden, dass eine Nichtteilnahme am Schlichtungsverfahren angemessene Sanktionen nach sich ziehen kann, um die Wirksamkeit des Verfahrens sicherzustellen. Dies könnte durch die Einführung einer gesetzlich festgelegten Verpflichtung zur Kostenübernahme durch die Gegenseite im Falle der Nichtteilnahme erreicht werden. Solche Sanktionen wären ein wichtiger Schritt, um die Ernsthaftigkeit des Schlichtungsverfahrens zu unterstreichen und eine faire Behandlung aller Beteiligten sicherzustellen.

Erweiterung des Anwendungsbereichs (§§ 6, 19 AGG)

Auch wenn die meisten nun geplanten Ergänzungen zu begrüßen sind, so ist darüber hinaus eine Erweiterung des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs des AGG unabdingbar. Diskriminierung findet nicht nur im Nahbereich der Arbeit statt, sondern auch in angrenzenden Bereichen. Nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können Diskriminierungen unterliegen. Dies gilt insbesondere auch für Verbraucher und hier eben nicht nur in dem eng begrenzten zivilrechtlichen Bereich, den das bisherige AGG umschreibt. Der Gesetzgeber sollte daher den Anwendungsbereich adäquat erweitern. 

Dem entspricht für Menschen mit Behinderungen auch ein Vorschlag des Forums der behinderten Juristinnen und Juristen (FBJJ) aus dem Jahr 2016, den wir ausdrücklich unterstützen1.

Demgemäß wird vorgeschlagen, dass in das AGG eine Verpflichtung zur Berücksichtigung angemessener Vorkehrungen aufgenommen wird. Dazu muss der Anwendungsbereich erweitert und das Fehlen angemessener Vorkehrungen als Benachteiligung aufgenommen werden. Außerdem muss in § 19 AGG eine Vorschrift für das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot aufgenommen werden. Ferner sollen private Unternehmungen auch über Zielvereinbarungen zur Einführung angemessener Vorkehrungen verpflichtet werden können. Die Erfahrungen aus Österreich zeigen, dass dies häufig in einem Schlichtungsverfahren erreicht werden kann, sodass die Klage vor einem Zivilgericht vermieden wird. Eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs würde nicht nur die rechtliche Absicherung für Menschen mit Behinderungen stärken, sondern auch die gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion fördern.

Daher werden entsprechend dem Vorschlag des FbJJ folgende Änderungen empfohlen:

  1. In § 3 wird ein Absatz 2a AGG eingefügt:

  „(2a) Die Versagung angemessener Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen ist eine Benachteiligung, soweit geeignete und erforderliche Maßnahmen unterlassen werden, die gewährleisten, dass ein Mensch mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, erlangen kann und diese in einem zivilrechtlichen Schuldverhältnis die Vertragspartner nicht unverhältnismäßig oder unbillig belasten.“

  • In § 19 AGG wird ein Absatz 2a eingefügt:

  „(2a) Eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen wegen Versagung angemessener Vorkehrungen gemäß § 3 Absatz 2a in einem zivilrechtlichen Schuldverhältnis ist unzulässig. Die Vorschriften nach § 21 und über das Schlichtungsverfahren nach § 27c sind entsprechend anzuwenden.“

  • In § 5 BGG wird ein Absatz 2a eingefügt:

  „(2a) Bei Verhandlungen über Zielvereinbarungen, die nach Auffassung der Verbände nach § 15 Abs. 3 der Umsetzung angemessener Vorkehrungen dienen, findet bei einer Nichteinigung das Schlichtungsverfahren nach § 16 statt. § 15 Absatz 2 gilt entsprechend.“

Mit diesen geringfügigen Änderungen können wesentliche Probleme des Ausschlusses behinderter Menschen aus dem öffentlichen Leben beseitigt und die Zugänglichkeit im Sinne des Artikels 9 UN-BRK hergestellt werden. Eine effektive Umsetzung dieser Änderungen würde einen wesentlichen Beitrag zur Inklusion leisten und den Druck auf Institutionen und private Unternehmen erhöhen, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu achten und zu fördern.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend begrüßt AbilityWatch e. V. viele der geplanten Änderungen zur Verbesserung des Diskriminierungsschutzes in Deutschland. Insbesondere die Einführung der Prozessstandschaft und der Schlichtungsstelle stellt einen bedeutenden Fortschritt dar. Dennoch sehen wir in zahlreichen Punkten Verbesserungsbedarf, um sicherzustellen, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen umfassend geschützt und gefördert werden. Kritisch anzumerken ist, dass das AGG aus Sicht behinderter Menschen wenig bis keine Wirkung entfalten kann, da sein Anwendungsbereich unzureichend ausgestaltet ist. Eine umfassendere Reform des AGG, auch im Zusammenspiel mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), ist notwendig, um den Schutz vor Diskriminierung effektiv zu gestalten und die Rechte von Menschen mit Behinderungen besser zu wahren. Es ist unser gemeinsames Ziel, Diskriminierung in unserer Gesellschaft zu bekämpfen und den Zugang zu Recht und Gleichbehandlung für alle zu ermöglichen. Nur durch einen ganzheitlichen Ansatz, der die verschiedenen Formen der Diskriminierung und die vielfältigen Barrieren im Alltag adressiert, kann eine wirkliche Inklusion gelingen. Es bedarf daher eines Zusammenspiels von gesetzgeberischen, organisatorischen und gesellschaftlichen Maßnahmen, um eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, die niemanden zurücklässt.

  1. Vorschlag für eine Rechtsnorm zur Verpflichtung der Privaten zur Barrierefreiheit und Umsetzung der angemessenen Vorkehrungen, März 2016, abgerufen am 14.10.2024 auf fbjj.de ↩︎