Mit großer Sorge und Entsetzen haben wir die jüngsten Äußerungen von Dr. Klaus Heckemann zur Kenntnis genommen. Im Editorial der Verbandszeitschrift der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen skizziert er eine Zukunftsvision, bei der genetische Tests und Verfahren flächendeckend dazu verwendet werden sollen, das “Risiko der Geburt eines schwerstkranken Kindes” auszuschließen. Seine Auffassung, dies sei “zweifellos Eugenik. Allerdings in ihrem besten und humansten Sinn”, offenbart eine gefährliche Haltung und ist untragbar. Wir sehen in solchen Ansichten eine beunruhigende Rückkehr zu menschenverachtenden Ideologien, die in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen. Wir schließen uns Organisationen wie Achse e. V. und der DGM e. V. an und fordern die Vertreter*innenversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen dazu auf, unverzüglich sicherzustellen, dass Menschen wie Dr. Klaus Heckemann keine Verantwortung mehr in ihrer Organisation tragen.
Dr. Heckemanns Vision erinnert erschreckend an die utilitaristische Denkweise von Mediziner*innen in der NS-Zeit. Auch sie betrachteten behinderte Menschen unter Kostenaspekten und hielten Leben, die von “Leid” und “Lebenszeitverkürzung” geprägt seien, für nicht erstrebenswert. Die Nutzung von Pränataldiagnostik und anderen künftigen Verfahren, zur Vermeidung der Geburt eines “schwerstkranken Kindes”, suggeriert, dass das Leben von Menschen mit Behinderungen weniger wert ist.
Schon heute gibt es in Deutschland und anderen Ländern, in denen Pränataltests wie die non-invasiven Bluttests (NIPT) auf Chromosomenveränderungen zur Routinediagnostik gehören, kaum noch Kinder mit Down-Syndrom. Dass diese Tests zur kategorischen Aussortierung behinderter Embryos diskriminierend sind, darüber sind sich Behindertenrechtsorganisationen einig (mehr dazu in einem Die Neue Norm-Artikel, Podcast oder auf #NoNipt, Gen-ethisches Netzwerk und Netzwerk gegen Selektion).
“Was Dr. Heckemann von sich gibt, ist nichts anderes als ein Frontalangriff auf die Menschenrechte. Seine Vorstellung von einer Gesellschaft ohne Menschen mit Behinderungen ist fürchterlich und gehört nicht in unsere Gegenwart“, sagt Anne Gersdorff, Aktivistin und Mitglied von AbilityWatch e. V.
Was ist mit Eugenik gemeint?
Die Eugenik war Teil der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands, geprägt von unvergleichlichem Leid und Unmenschlichkeit. Das Wort “Eugenik” zu verwenden und im selben Atemzug von ihrer “besten und humansten Form” zu sprechen, ist eine respektlose Verharmlosung und eine unverzeihliche Verfälschung der grausamen Realität, die Millionen von unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat. Es gibt keine “gute Eugenik” – jede Form dieser Ideologie ist eine Verhöhnung menschlicher Würde und gehört entschieden abgelehnt.
Das unterstreicht auch folgende Aussage Heckemanns: “Momentan haben die erkrankten Kinder, wenn es überhaupt eine wirksame (dann meist extrem teure und auch nebenwirkungsbehaftete) Therapie gibt, in den allermeisten Fällen eine starke Einschränkung der Lebenserwartung und natürlich auch der Lebensqualität. Besonders das Leid der betroffenen Eltern könnte vermieden werden.“
Dazu im Vergleich Karl Binding (1922, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens) “Daß es lebende Menschen gibt, deren Tod für sie eine Erlösung und zugleich für die Gesellschaft und den Staat insbesondere eine Befreiung von einer Last ist, deren Tragung außer dem einen, ein Vorbild größter Selbstlosigkeit zu sein, nicht den kleinsten Nutzen stiftet, läßt sich in keiner Weise bezweifeln.”
Die Äußerungen von Heckemann sind nicht nur eine erschreckende Verharmlosung der Eugenik, sondern auch ein gefährlicher Vorbote für die Auswirkungen solcher rechten Gedanken in unserer Gesellschaft. Dass aus Worten Taten werden, zeigte sich erst kürzlich bei einem Vorfall in Mönchengladbach. Dort wurde ein Stein mit der Botschaft “Euthanasie ist die Lösung” in ein Fenster einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen geworfen. Solch verabscheuungswürdige Taten werden durch Texte wie die von Heckemann erst möglich und befeuert. Wir sehen hier eine gefährliche Kontinuität zwischen den rechten Ideologien der Vergangenheit und den heutigen Gewalttaten gegen Menschen mit Behinderungen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Dr. Heckemann sich diskriminierend äußert. Bereits Anfang 2023 kritisierte die Bundesvertretung der Medizinstudierenden ein Editorial, in dem sich Heckemann über die “Genderproblematik” und “Identitätspolitik” beschwerte und Transgeschlechtlichkeit als “ideologische Verblendung” betitelte. Das zeigt deutlich, Heckemann hat nicht nur ein Problem mit behinderten Menschen, sondern vielmehr mit jeglicher Form von Vielfalt und Inklusion, die seiner Vorstellung von “normal” widerspricht. Seine wiederholten Angriffe auf verschiedene marginalisierte Gruppen offenbaren eine tiefe Ablehnung gegen die Anerkennung und Gleichwertigkeit aller Menschen, die nicht in sein Weltbild passen.
Vor dem Hintergrund, dass Heckemann auf mehreren Veranstaltungen der AfD gesprochen hat, müssen wir die Äußerungen des Mediziners als Teil eines gefährlichen Ideologiekomplexes verstehen, der die Gleichwertigkeit aller Menschen infrage stellt. Die AfD ist eine Partei, die in Teilen als Rechtsextrem eingestuft ist und immer wieder durch diskriminierende Aussagen gegenüber Menschen mit Behinderungen und vieler anderer marginalisierter Gruppen auffällt und in der Vergangenheit mehrfach gezeigt hat, dass sie nicht davor zurückschreckt, die Würde und Rechte von Menschen mit Behinderungen infrage zu stellen.
Raúl Krauthausen, Aktivist und AbilityWatch-Mitglied, warnt eindringlich:
“Wenn wir zulassen, dass Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten aus unserer Gesellschaft verschwinden, wie Dr. Heckemanns Vision es erdenkt, dann sind wir eine Gesellschaft, die jegliche Ethik und Menschlichkeit verloren hat. Und das wird nur der Anfang sein – solche Denkweisen führen zu einer Welt, in der nur noch die vermeintliche ‘Norm’ existieren darf. Wie die Umsetzung einer solchen Welt aussieht, können wir alle in der deutschen Vergangenheit sehen.“
Es ist gleichzeitig erschreckend und frustrierend, dass behinderte Menschen immer noch deutlich machen müssen: Behinderungen und chronische Krankheiten sind kein Makel. Wir müssen nicht geheilt werden und viele von uns “leiden” auch nicht wegen unserer Behinderung. All diese Fehlannahmen sind tief verankert im medizinischen Modell von Behinderung, das hauptsächlich darauf abzielt, Menschen mit Behinderungen als defizitär zu betrachten, anstatt die gesellschaftlichen Barrieren und Diskriminierungen infrage zu stellen. Heckemann maßt sich an, abschließend über die Lebensqualität behinderter Menschen zu urteilen.
Was unsere Lebensqualität allerdings tatsächlich massiv beeinflusst, ist nicht unsere Behinderung selbst, sondern wie wir von der Gesellschaft wahrgenommen und behandelt werden, welche Barrieren wir konstant überwinden müssen. Es sind genau diese ableistischen Denkweisen, wie sie Dr. Heckemann vertritt, die das wahre Problem darstellen.
“Dass Dr. Heckemann im Jahr 2024 noch das veraltete medizinische Modell von Behinderung propagiert, ist, wie wir anhand seiner Aussagen zu Eugenik sehen, nicht nur ignorant, sondern gefährlich. Behinderung ist keine persönliche Tragödie, die es zu vermeiden gilt, sondern das Ergebnis gesellschaftlicher Barrieren. Seine Vision zeigt, dass er den grundlegenden Unterschied zwischen einem sozialen bzw. menschenrechtlichen Modell und einem medizinischen Modell von Behinderung nicht verstanden hat – oder schlimmer noch, bewusst ignoriert, um Menschen mit Behinderungen zu entwerten“, sagt Jenny Bießmann, Mitglied von AbilityWatch e. V. und akse e. V.
Als Behindertenrechtsorganisation sehen wir es als unsere Aufgabe an, die Rechte und die Würde von Menschen mit Behinderungen zu verteidigen, weshalb wir uns den vielen anderen Organisationen anschließen und die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen auffordern, unverzüglich sicherzustellen, dass Menschen wie Dr. Klaus Heckemann keine Verantwortung mehr in ihrer Organisation tragen. Heckemanns Aussagen und Denkweise stellen eine direkte Bedrohung für die Würde und den Wert jedes menschlichen Lebens dar und dürfen in keiner Form toleriert werden. Die Würde jedes Menschen ist unantastbar, und wir werden weiterhin entschlossen dafür kämpfen, dass dies so bleibt. Wir wollen gleichzeitig auch andere Organisationen motivieren, sich dieser Forderung anzuschließen.
Danke für Euer Engagement. Weiter so!
Als behinderte Person, die außerdem Geschichte studiert und sich aktuell besonders mit Eugenik und “Euthanasie” im Nationalsozialismus beschäftigt, finde ich die Aussagen von Dr. Klaus Heckemann extrem beunruhigend. Eugenik in jeglicher Form in Betracht zu ziehen und zu propagieren ist besonders angesichts dieser Geschichte absolut inakzeptabel. Es gibt keine Form von Eugenik, die nicht fundamental die Grundrechte von behinderten Menschen in Frage stellt.
Eugenisches Denken öffnet die Tür für das Ermorden kranker und behinderter Menschen. Jeder, der das leugnet, lügt entweder oder hat etwas Fundamentales über Zwischenmenschlichkeit und Zusammenleben nicht verstanden.
Ich finde es furchtbar überhaupt über solche Vorgehensweisen nachzudenken.
Kann kaum in Worte fassen, wie ekelhaft und menschenverachtend ich das finde.
Hoffentlich geht es an die Öffentlichkeit!
Sehr erschreckend! Und sehr wichtig, das öffentlich zu machen, vielen Dank euch! Ich fürchte leider auch, dass das erst die Anfänge sind. Wir müssen das verbreiten, um uns zu wehren und solidarische Strukturen aufzubauen / zu stärken!
…was passiert nur um uns herum?!?…unfassbar, was da betrieben wird, hört das denn nie auf?…warum können wir uns nicht alle so akzeptieren, wie wir sind?…Stoppt diesen Wahnsinn!!!…Jeder hat das Recht auf Leben….
Die nachstehende Pressemeldung veröffentlichte ich heute über die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union:
Renaissance der Eugenik in Sachsen?
Mit Entsetzen stellt die Humanistische Union fest, dass mit dem Erstarken der extremen Rechten im Land offenbar auch eine Wiederbelebung des Rufes nach Eugenik einhergeht. Wir warnen eindringlich vor den Gefahren für das Lebensrecht behinderter Menschen.
In den Mitteilungen 5-6/2024 der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen entwickelt ihr Vorstandsvorsitzender Klaus Heckemann im Editorial der Verbandszeitschrift seine Visionen der effizienten und kostengünstigen flächendeckenden Nutzung genetischer Tests und Verfahren mit dem Ziel, das “Risiko der Geburt eines schwerstkranken Kindes” auszuschließen. Er bezieht auch das Vermeiden der Geburt eines Kindes mit Trisomie 21, dem Down-Syndrom, zielgerichtet in seine Überlegungen ein und begründet dies mit dem vermeintlichen Leid der betroffenen Eltern, das so vermeidbar sei. Dies sei, so schreibt Heckemann “zweifellos Eugenik. Allerdings in ihrem besten und humansten Sinn”. Der stellvertretende Vorsitzende der Humanistischen Union, Dr. Wolfram Grams, erkennt darin eine Kontinuität zur menschenverachtenden eugenischen Position der Naziherrschaft, in der behinderte Menschen ausschließlich als zu vermeidender Kostenfaktor betrachtet wurden. Ihre Ermordung wurde mit der Verkürzung ihres „Leids“ begründet. Der Aufruf zur Nutzung von Pränataldiagnostik und anderer Verfahren zur Vermeidung der Geburt eines “schwerstkranken“ oder behinderten Kindes suggeriert, dass das Leben von Menschen mit Behinderungen weniger wert und für die Betroffenen weniger lebenswert sei.
Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union erkennt in diesen Positionen eine beunruhigende Rückkehr zu menschenverachtenden Ideologien, die in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.
Es ist die Frage zu stellen, ob die öffentliche Debatte mit den Mitteln der Sprache des Unmenschen angesichts der aktuellen Rechtsentwicklung zielgerichtet geführt wird. Diese Frage stellt sich besonders deshalb, weil Heckemann bei Veranstaltungen der AfD als Redner auftrat. Seine Positionen bereiten somit die Umsetzung der Forderung des thüringischen AfD-Vorsitzenden vor, des Faschisten Höcke, der davon sprach, man werde sich von einigen Volksteilen, die zu schwach sind, trennen müssen.
Wir fordern die Vertreter*innenversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen dazu auf, sicherzustellen, dass menschenverachtende eugenische Positionen, die das Lebensrecht behinderter Menschen infrage stellen, keine Plattform erhalten. Wir fordern auch, dass Vertreter dieser Positionen keine Verantwortung mehr in ihrer Organisation tragen dürfen, um so dem Schutz behinderter Menschen zu dienen.