Heute beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass Menschen mit Behinderungen bei einer Triage nicht benachteiligt werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht sagt in seiner Erklärung deutlich, dass der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verstoßen hat, weil er bislang keine Vorkehrungen getroffen hat, dass Menschen mit Behinderungen bei der Zuteilung überlebenswichtige Ressourcen nicht benachteiligt werden. Er muss deshalb unverzüglich geeignete Vorkehrungen treffen.

Constantin Grosch, einer der Beschwerdeführer, bewertet das Urteil als Erfolg und einen großen Meilenstein für die Behindertenbewegung. Denn das Gericht bezieht sich nicht nur auf Artikel 3 des Grundgesetzes, sondern bezieht auch die UN-Behindertenrechtskonvention mit ein.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Tolmein von der Kanzlei Menschen und Rechte begrüßt ausdrücklich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: „Der Beschluss unterstreicht, dass Artikel 3 Abs 3 Satz 2 GG eine Schutzpflicht des Gesetzgebers begründet und dass der Gesetzgeber mit Blick auf die drohende Triage gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hat! Das ist ein äußerst wichtiges Signal.”

“Wir erwarten, dass der Gesetzgeber schnellstmöglich handelt. Er hat einen großen Handlungspielraum erhalten, den er nun gemeinsam mit Verbänden von Menschen mit Behinderungen für die Erarbeitung diskriminierungsfreier Triage-Regelungen nutzen muss. Diesen Prozess wollen wir konstruktiv und aufmerksam begleiten” so Nancy Poser, Beschwerdeführerin und Richterin.

Pressekonferenz zum Triage-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Vollständiger Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – 1 BvR 1541/20

Hintergrund:

Im Juli 2020 erhoben neun Menschen mit Behinderungen Verfassungsbeschwerde, die vom AbilityWatch e.V. unterstützt wurde. Mit dieser mochten die Beschwerdeführer*innen eine gesetzliche Regelung zur Triage erwirken, die in Deutschland bisher fehlt. Nachdem im Frühjahr 2020 in einigen Regionen Deutschlands die Durchführung von Triagen kurz bevorzustehen schienen und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bereits eine Empfehlung mit anzuwendenden Kriterien herausbrachte, befürchteten die Beschwerdeführer, dass Kriterien wie Alter, Behinderung und Komorbidität als Kriterium bei der Verteilung von lebensnotwendigen medizinischen Ressourcen herangezogen würden.
Einen Eilantrag wiesen die Verfassungsrichter*innen am 16. Juli 2020 mit Blick auf die geringe Inzidenzzahl ab.