Nachdem das Intensivpflege- und Rehastärkungsgesetz (IPReG) im Juli letzten Jahres beschlossen wurde, stand im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) die Erstellung einer Richtlinie an. Diese Richtlinie wurde nun am 19.11.2021 unter dem Namen “Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie” (AIV-RL) im Plenum des GBA beschlossen. Nun muss die Richtlinie noch vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geprüft und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.

Verordnung nach dieser neuen Richtlinie sollen dann ab dem 01.01.2023 durchgeführt werden. Bis dahin ist außerklinische Intensivpflege weiterhin über die “Häusliche Krankenpflege-Richtlinie” (HKP-RL) zu verordnen.

Die finale Plenumsdebatte haben wir auf die Entscheidungen, die auf das IPReG zurückzuführend sind, zusammen geschnitten und auf YouTube zur Verfügung gestellt.

Wen betrifft es?

Zukünftig verlieren bestimmte Versicherte den Anspruch auf die häusliche Krankenpflege und erhalten im Gegenzug den neuen Anspruch auf außerklinische Intensivpflege. Dies sind Personen mit einem “besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege”.

Behandlungspflege meint dabei “ärztliche Behandlungen, die dazu dienen, Krankheiten zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und die im Rahmen der außerklinischen Intensivpflege an geeignete Pflegefachkräfte delegiert werden können”, § 1 Abs. 1 Satz 3 AIV-RL.

Ein hoher Bedarf liegt vor, wenn “wegen Art, Schwere und Dauer der Erkrankung die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft notwendig ist, weil eine sofortige ärztliche oder pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich unvorhersehbar erforderlich ist, wobei die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können”, § 4 Abs. 1 AIV-RL.

Wo kann die außerklinische Intensivpflege erbracht werden?

Die außerklinische Intensivpflege kann in

  • vollstationären Pflegeeinrichtungen,
  • sogenannte Beatmungs-WGs
  • eigene Wohnung
  • im Haushalt der Familie
  • betreute Wohnformen, Werkstätten
  • und Kindertagesstätten sowie Schulen.

Dabei ist den Wünschen der Versicherten zu entsprechen. Bei gefährdeter medizinischer oder pflegerischer Versorgung kann die Krankenkasse allerdings Nachbesserungsmaßnahmen einfordern, an denen sie und andere Kostenträger ggfs. beteiligen muss.

Wann kann eine Verordnung ausgestellt werden?

Zukünftig kann außerklinische Intensivpflege nur erfolgen, wenn sie ärztlich verordnet wurde. Dazu bedarf es bei Versicherten, die beatmet oder trachealkanüliert sind, zuvor einer Potenzialerhebung mit der Frage, ob die Beatmungszeit reduziert werden oder gar eine vollständige Beatmungsentwöhnung (Weaning) bzw. Trachealkanülenentfernung stattfinden kann.

Diese Potenzialerhebung darf nur von folgenden Ärzten ausgeführt werden:

  • alle Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Intensivmedizin
  • alle Fachärzte für Innere Medizin und Pneumologie
  • Fachärzte für Anästhesiologie, wenn sie 6 Monate in einem Bereich tätig waren, in denen langzeitbeatmete Versicherte entwöhnt werden
  • Fachärzte für Innere Medizin, Chirurgie, Neurochirurgie, Neurologie oder Kinder- und Jugendmedizin, wenn sie 12 Monate in einem Bereich tätig waren, in denen langzeitbeatmete Versicherte entwöhnt werden
  • alle weiteren Fachärzte, wenn sie 18 Monate in einem Bereich tätig waren, in denen langzeitbeatmete Versicherte entwöhnt werden

Zur Erhebung des Potenzials zur Entfernung von Trachealkanülen bei nicht beatmeten Versicherten auch Fachärzte mit mindesten 18-monatiger einschlägiger Tätigkeit in einer stationären Einheit der Neurologischneurochirurgischen Frührehabilitation.

Wie oft muss die Erhebung stattfinden?

Die Erhebung ist vor jeder Verordnung vorzunehmen. Zum Zeitpunkt der Verordnung darf die letzte Erhebung nicht älter als drei Monate sein. Die Erhebung ist mindestens alle sechs Monate durchzuführen.

Dies darf allerdings auch telemedizinisch, allerdings mindestens einmal jährlich persönlich erfolgen. Grundsätzlich hat die Erhebung am Ort der Leistung der außerklinischen Intensivpflege stattzufinden, also beispielsweise in den stationären Pflegeeinrichtungen oder in der eigenen Häuslichkeit. Kann der Facharzt die Erhebung nicht vor Ort durchführen und ist der Transport des Versicherten zum Facharzt unverhältnismäßig, so darf ausnahmsweise die mindestens einmal jährlich stattzufindende persönliche Begutachtung auch rein telemedizinisch durchgeführt werden.

Wenn keine Aussicht auf Besserung besteht?

Wird festgestellt, dass es bei einem Versicherten keine Aussicht auf nachhaltige Besserung gibt und eine dauerhafte Entwöhnung oder Dekanülierung unmöglich ist, muss die Erhebung nur alle 12 Monate durchgeführt werden und dann mit dem Schwerpunkt auf Therapieoptimierung und Therapiekontrolle.

Die Notwendigkeit zur Potenzialerhebung kann sogar vollständig entfallen. Wenn ein Versicherter mindestens zwei Jahre lang durch die Erhebungen beobachtet und dabei zweimal in Folge festgestellt wurde, dass eine Besserung nicht möglich ist, darf die Verordnung auch ohne Potenzialerhebung erfolgen. Allerdings muss der verordnende Arzt ein anderer sein, als derjenige, der die Feststellung der nicht möglichen Besserung getroffen hat.

Wer kann die Verordnung ausstellen?

Anders als die Potenzialerhebung darf die Verordnung selbst neben den oben genannten Fachärzten auch noch von folgenden ausgestellt werden. Fachärzte:

  • für Innere Medizin und Pneumologie,
  • für Anästhesiologie
  • für Neurologie
  • mit der Zusatzbezeichnung Intensivmedizin
  • für Kinder- und Jugendmedizin
  • Hausärzte, wenn sie über Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten verfügen und dies von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) genehmigt wurde.

Bei Versicherten, die weder beatmungspflichtig noch trachealkanüliert sind, erfolgt die Verordnung durch Fachärzte, die auf die außerklinische Intensivpflege auslösende Erkrankung spezialisiert sind.

Wie lange gilt meine Verordnung?

Die allererste Verordnung darf nicht länger als 5 Wochen umfassen.
Alle folgenden Verordnungen dürfen längstens für 6 Monate ausgestellt werden.

Ist bei einem Versicherten festgestellt worden, dass eine Besserung der zugrunde liegenden Funktionsstörung nicht möglich ist, darf eine Verordnung auch für die Dauer von 12 Monaten ausgestellt werden.

Was ist mit dem Persönlichen Budget und Assistenzmodellen?

Explizit wurde in der Richtlinie aufgeführt, dass auch weiterhin die Möglichkeit von individuellen Vereinbarungen im Rahmen eines persönlichen Budgets und damit der unterschiedlichsten Assistenzmodelle möglich ist.

Unklar ist derzeit noch, welche genauen Anforderungen an die Leistungserbringer gestellt werden und was genau besonders qualifizierten Pflegefachkräfte sein sollen. Diese Fragen sind nicht Teil der Richtlinie im Gemeinsamen Bundesausschuss, sondern werden im Rahmen einer sogenannten Rahmenvereinbarung zwischen Kostenträgern (Krankenkassen) und Leistungserbringern (Vereinigung der Träger von vollstationären Pflegeeinrichtungen, Spitzenorganisationen für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten usw.) geklärt. Patienten, Versicherte und Menschen mit Behinderungen, sowie sie vertretende Organisationen sind dort nicht involviert. Inwiefern die dort getroffenen Regelungen von den Krankenkassen auch auf die Persönlichen Budgets angewendet werden, bleibt abzuwarten. Die Verhandlungen für die Rahmenvereinbarung können jetzt erst starten.

Wie verhält sich die neue Bundesregierung?

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus SPD, Bündnis90 / Die Grünen und FDP wurde explizit auf das IPReG und seine Folgen eingegangen. Dort heißt es:

Bei der intensivpflegerischen Versorgung muss die freie Wahl des Wohnorts erhalten bleiben. Das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) soll darauf hin evaluiert und nötigenfalls nachgesteuert werden. Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich.

Koalitionsvertrag, Seite 81