Seit unserem letzten Update zum Status von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in der Corona-Epidemie von Anfang Januar hat sich einiges bewegt.

So mehren sich die Zeichen, dass die Covid19-Impfverordnung tatsächlich zeitnah angepasst werden soll (mehr dazu unten). Weniger Bewegung scheint es aber bezüglich der dringenden Frage von Testmöglichkeiten für Menschen mit Assistenz oder anderweitiger selbstorganisierter Pflege oder Pflege durch Angehörige zu geben. Zwar soll laut einem Forderungspapier sämtlicher Landesbehindertenbeauftragten, gemeinsam mit dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung Vollständige Pressemitteilung von Jürgen Dusel, Bundesbehindertenbeauftragter die Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 gerade in Überarbeitung sein, aber …

„[d]ie Beauftragten von Bund und Ländern fordern zudem eine Erweiterung um Assistenzkräfte, die über das persönliche Budget finanziert werden. Auch sollte die Testverordnung ebenfalls in ein Gesamtkonzept eingebunden werden.”

Stellungnahme der Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen

Dies fordert auch das Aktionsbündnis Patientensicherheit, welches diese Woche einen Appell an die Gesundheitspolitik richtete, welchen wir von AbilityWatch gerne unterstützt haben. Darin wird insbesondere auch auf die langfristigen Folgen der unterschiedlichen Behandlung von (teil-)stationären und ambulanten Versorgungsformen hingewiesen:

“Persönlich ebenso vulnerabel wie die Bewohner*innen von Pflegeheimen sind die Menschen, die aufgrund Alters, schwerer Erkrankungen oder Behinderung im häuslichen Umfeld gepflegt werden. Diese Pflege leisten nicht nur ambulante Pflegedienste, sondern vor allem die Angehörigen sowie teilweise auch selbst angestellte Pflege- oder Assistenzkräfte […], die in der Regel nicht im gleichen Haushalt leben und außerhalb ihrer Arbeitszeit nicht kontrollierbaren Infektionsrisiken ausgesetzt sind. Gerade bei Assistenzkräften in der 24-Stunden-Betreuung herrscht ein häufiger Personalwechsel. Auch über diese Pflegenden kann das Virus zu den besonders gefährdeten Gepflegten gelangen – mit fatalen Folgen. Betroffene berichten trotzdem, dass sie bei den bisherigen Maßnahmen zur Pandemiebewältigung weitgehend unberücksichtigt geblieben sind und mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, eine sichere Versorgung in der häuslichen Umgebung aufrecht zu erhalten. Die einzige andere Handlungsmöglichkeit für diese Personengruppe wäre, ihre Selbständigkeit und gewohnte Umgebung aufzugeben und in die stationären Pflegeeinrichtungen zu wechseln, die selbst wiederum mit hohen Risiken behaftet sind. Das kann angesichts der Überlastung des Gesundheitswesens und der Einrichtungen nicht im Interesse der Betroffenen und der Gesellschaft sein.”

Appell: Bessere Berücksichtigung von Pflegebedürftigen in der häuslichen Umgebung bei der Pandemie-Bekämpfung

Eine bestimmte Risikogruppe wird derzeit aber noch stärker ignoriert und vergessen, als der hier bisher diskutierte Kreis: Kinder mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen und anderen Risikofaktoren. Sie werden fast ausnahmslos durch die Erziehungsberechtigten gepflegt und betreut. In der Regel gehen diese Eltern natürlich einer Arbeit nach, die – je nach Beruf – auch weiterhin einen hohen (Kunden-)Kontakt zu anderen Menschen beinhaltet. So werden die Eltern selbst zu einem großen Risiko für diese Kinder. Neben der enorm hohen psychischen Belastung gehen hier einige Eltern soweit und reduzieren und beenden gänzlich ihre derzeitige Arbeit. Auf die Problematik versucht eine Initiative durch einen offenen Brief aufmerksam zu machen, den wir hier gerne teilen möchten.

Da die aktuelle Zulassung für die Impfstoffe nicht für unter 18-Jährige gilt, gibt es für sie kaum einen zeitlichen Hoffnungsschimmer. Daher wird die Aufnahme dieser speziellen Risikogruppe in die Impfverordnung gefordert:

“Viele Ärzte von Risikogruppenkindern sehen eine Impfung der Risikogruppenkinder trotz noch nicht erfolgter abschließender Testung und Zulassung der mRNA-Impfstoffe für Kinder als möglich, notwendig und dringend an. Einige Stimmen und Veröffentlichungen kinderärztlicher Vereinigungen sowie aus der DAKJ 1“Hans-Iko Huppertz (DAKJ) findet, dass es aber Ausnahmen geben sollte für Kinder, die zur Hoch-Risikogruppe gehörten. Zum Beispiel mehrfach behinderte Kinder und Kinder mit wirklich schweren chronischen Erkrankungen. Bei solchen Kindern wäre unter strenger Risikoabwägung ein Off-Label-Use sinnvoll. Das heißt eine Impfung, auch wenn der Impfstoff noch nicht für Kinder zugelassen ist, aber doch bereits einige Monate an Erwachsenen erprobt wurde.“ Quelle: SWRunterstützen diese Einschätzung und damit die Impfung von Risikogruppenkindern im ärztlich betreuten Einzelfall.”

Auszug aus dem Offenen Brief der Initiative Risikogruppenkind

Apropos Altersfreigabe

Nachdem das Bundesgesundheitsministerium und allen voran der zuständige Minister Spahn selbst nach den eindringlichen Hinweisen der 1. Überarbeitete Corona-Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) mehreren Medienanfragen gegenüber keinen Anlass für eine Änderung der Impfverordnung sah, tauchte am 25.01.2021 eine Antwort des zuständigen Staatssekretärs Dr. Thomas Gebhart auf eine Anfrage der Abgeordneten Rüffer auf. Darin heißt es nur knapp:

“Die Coronavirus-Impfverordnung wird im Lichte der STIKO –Empfehlungen angepasst.”

Antwort (1/256) des parl. Staatssekretärs Dr. Thomas Gebhart

Wie es – glücklicherweise – zu diesem Sinneswandel kommen konnte, könnte auch mit dem Debakel um den Impfstoff des Unternehmens AstraZeneca zusammenhängen. Da für diesen nicht ausreichend Daten vorliegen um eine Impfung für Menschen über 65 Jahren bedenkenlos empfehlen zu können und auch ansonsten die Wirksamkeit dieses speziellen Impfstoffes angezweifelt wird2nur 60%ige Wirksamkeit – Quelle: ZEIT Online (abgerufen am 29.01.2021), brauchte der Gesundheitsminister eine “neue Zielgruppe” für den Impfstoff, der ja laut Impfverordnung primär zunächst nur an über 80-Jährige verteilt werden sollte. Der Bundesminister erklärte dazu im ZDF Heute Journal:

“Wir haben in jeder Altersgruppen in Deutschland Bürgerinnen und Bürger, die z.B. aufgrund von Vorerkrankungen auch natürlich prioritär werden sollen und wollen.”

Interview des Gesundheitsministers im ZDF Heute Journal vom 28.01.2021

Ach plötzlich, will man dem Gesundheitsminister zurufen. 

Am Freitag veröffentlichte dann die STIKO ihre 2. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und präzisierte darin noch einmal ihre Empfehlung für eine generelle Öffnungsklausel in der Impfverordnung:

“Bei der Priorisierung innerhalb der COVID-19-Impfempfehlung der STIKO können nicht alle Krankheitsbilder oder Impfindikationen explizit genannt werden. Es obliegt daher den für die Priorisierung in den Bundesländern Verantwortlichen, in Einzelfällen Personen, die nicht ausdrücklich im Stufenplan genannt sind, angemessen zu priorisieren. Dies betrifft z.B. Personen mit seltenen, schweren Vorerkrankungen oder auch schweren Behinderungen, für die bisher zwar keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz bzgl. des Verlaufes einer COVID-19-Erkrankung vorliegt, für die aber ein deutlich erhöhtes Risiko angenommen werden muss. Dies trifft auch für Personen zu, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr oder nicht mehr gleich wirksam geimpft werden können (z.B. bei unmittelbar bevorstehender Chemotherapie). Darüber hinaus sind Einzelfallentscheidungen möglich, wenn berufliche Tätigkeiten bzw. Lebensumstände mit einem nachvollziehbaren, unvermeidbar sehr hohen Infektionsrisiko einhergehen. Diese Öffnungsklausel darf nicht missbraucht werden, um ungerechtfertigterweise eine Impfung durchzuführen und somit stärker gefährdeten Personen die Impfung vorzuenthalten.”

Epidemologisches Bulletin 5/2021, Seite 4-5

Wichtig ist hier insbesondere der Zusatz, dass aufgrund der Lebensumstände, gerade dann, wenn ein unvermeidbar hohes Infektionsrisiko besteht, eine Einzelfallentscheidung getroffen werden soll. Dies könnten z.B. Assistenz-Situationen sein, da hier Teams aus nicht selten 5-10 Pflegekräften ein ständiges Risiko darstellen, insbesondere bei Beachtung der ohnehin schon bestehenden Vorerkrankung oder Behinderung. Aber Achtung: Die Empfehlung der STIKO ersetzt nicht die Corona-Impfverordnung. Erst wenn sie eine entsprechende Regelung enthält, können solche Einzelfallentscheidungen getroffen werden. Entscheidend wird dafür der Ausgang des Treffens der Landes-Gesundheitsminister mit dem Bundesgesundheitsminister am Samstag sein. 

Forderungen

Dann müssen schnellstens in allen Ländern klare Prozesse kommuniziert werden, wie Betroffene einen Nachweis über eine entsprechende besondere Situation zu erbringen haben und an wen sie sich zu wenden haben. AbilityWatch fordert daher weiter vehement:

  • Einfache Nachweisverfahren für die Eingruppierung in die Hochrisikogruppe
  • Terminvergaben barrierefrei zu gestalten (Hinweis: Noch immer sind einige Webseiten nicht barrierefrei3Artikel vom 18.01.2021 von AbilityWatch)
  • Aufbau von Testmöglichkeiten im Bereich der selbstbeschafften oder durch Angehörige organisierte Pflege
  • Bereitstellung von Schutzausrüstung für den genannten Kreis