Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

in der kommenden Woche entscheiden Sie über die Zukunft von tausenden Leben behinderter Menschen. Das GKV-IPReG (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz) versucht Missstände bei der Versorgung von Intensivpflegepatienten in sogenannten Beatmungs-WGs zu beseitigen. Bei diesem Unterfangen können Sie viele Betroffene auf Ihrer Seite wissen. Trotzdem müssen wir in aller Deutlichkeit und Dringlichkeit vor dem aktuellen Entwurf warnen: Er verschlechtert die Situation vieler Betroffener und kann sogar ihr Leben kosten!

Menschen mit Beatmung sind darauf angewiesen, im Akut-Fall innerhalb von Sekunden Hilfe zu bekommen. Es sind dokumentierte Fälle bekannt, in denen Menschen verstorben sind, weil im Heim mit einer 1:3 Betreuung eine unmittelbare Versorgung nicht immer gewährleistet werden kann. Viele Betroffene schildern uns genau diese Notwendigkeit sofortiger Hilfeleistung. Die Verlegung der Betroffenen gegen ihren Willen in ein Heim der außerklinischen Intensivpflege bedeutet somit für viele Menschen nicht nur die Beendigung von Teilhabe am normalen Leben mitten in der Gesellschaft, sondern sogar ein potentielles Todesurteil.

Und ein weiterer Punkt findet in bisherigen Gesetzentwurf keine Beachtung: Menschen mit Intensivpflegebedarf regeln ihre Pflege heute oft im sogenannten Arbeitgebermodell in der eigenen Häuslichkeit. Kein Pflegedienst und kein WG-Anbieter ist dabei involviert und kann folglich weder Finanzbetrug begehen noch unwürdige Pflegequalität anbieten. Die Kontrolle über die Art und Weise der Pflege haben in diesem Modell ausschließlich die Patienten selbst: also echtes Selbstbestimmungsrecht. Dabei werden auch Fachkräfte eingesetzt, für die eine Arbeit in stationären Einrichtungen nicht (mehr) in Frage kommt. Zudem können im Arbeitgebermodell auch angelernte Nicht-Fachkräfte eingesetzt werden, sofern die jeweilige Diagnose deren Einsatz erlaubt. Eine Verringerung der Anzahl von Arbeitgebermodellen führt somit zu einer Reduzierung der Zahl von zur Verfügung stehenden Fachkräften. 

Das vorbildliche System des Arbeitgebermodells in der Intensivpflege droht nun zerstört zu werden. Die Gründe dafür sind:

  1. Erhebliche Erhöhung der finanziellen Belastung in der ambulanten Versorgung. Auf diesen Umstand wies auch Frau Dr. Elisabeth Fix (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAGFW)) in der Anhörung im Ausschuss letzter Woche hin.
  2. Statt dem bisherigen vorbehaltlosen Rechtsanspruch auf Pflege in der eigenen Häuslichkeit, werden nun Kriterien eingeführt, die sowohl rechtlich unbestimmt sind als auch andererseits die Verantwortung von der Kranken- und Pflegekasse auf die Betroffenen abwälzt. Diese Kritik teilt auch Christine Eberle (Deutsche Stiftung Patientenschutz).
  3. Sanktionen, die für kriminelle Versorgungsstrukturen vorgesehen sind, wirken unmittelbar auf das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen. Auch dies kritisiert die BAGFW scharf.

Auch wir wollen unbedingt – sofern vorhanden –  Weaning-Potenziale ausschöpfen und schwarze Schafe, sowie unwürdige Praktiken in der Intensivpflege, aufdecken. Das Ergebnis darf aber nicht eine Schlechterstellung von Betroffenen und die faktische Aufhebung der individuellsten und bestmöglichen Versorgung, nämlich die selbstbestimmte Intensivpflege, ggf. im Arbeitgebermodell, sein. Daher fordern wir Sie auf, folgende Punkte im Gesetzesentwurf zu ändern:

  • Änderung der Rechtsfolge, falls in der eigenen Häuslichkeit vom Medizinischen Dienst festgestellt wird, dass Verbesserungen zur tatsächlichen und dauerhaften Sicherstellung der Pflege notwendig sind: Nicht der Patient darf dafür „bestraft“ und ins Heim abgeschoben werden, sondern die Krankenkasse muss verpflichtet werden, die vom MDK empfohlenen Verbesserungen am vom Betroffenen gewünschten Leistungsort vorzunehmen und so die Versorgung sicherzustellen.
  • Die Möglichkeit des Arbeitgebermodells ist ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen, wobei in diesem Fall der Patient über die Geeignetheit der Pflege- und Assistenzkräfte auch bei Nicht-Fachkräften zu entscheiden hat und Qualitäts- und Qualifikationsrichtlinien Betroffene nicht beim Finden von Personal hindern dürfen. Dies würde auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Deshalb: Differenzierung zwischen Arbeitgebermodellen und Inanspruchnahme von Diensten.
  • Gleichbehandlung der Eigenbeteiligung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung: Ist-Zustand belassen = Zuzahlungsbegrenzung auf 28 Tage
  • Verweigerung der Wohnungsbetretung des MDK darf kein Automatismus der Leistungsverwehrung bzw. Abschiebung in die stationäre Versorgung werden. Mitwirkungspflichten des SGB I sind ausreichend. Eine Zustimmungsfiktion bei einen Verweis auf “Gefahr in Verzug” ist empfehlenswert.

Von verschiedensten Verbänden liegen Ihnen für alle genannten Forderungen Formulierungsvorschläge vor. Das IPReG wurde in den vergangenen Monaten mehrmals geändert und entwickelt sich in eine richtige Richtung. Im jetzigen Zustand stellt es aber die Existenz einer besonders vulnerablen Gruppe in Frage. Es sind nur kleinste Änderungen notwendig, die zudem entbürokratisierend, teilhabefördernd und kostenneutral sind, sowie dem Fachkräftemangel entgegen wirken.