Eine flammende Kämpferin für Inklusion und Selbstbestimmung tritt ab

Fünf Rollstuhlfahrer nebeneinander. In der Mitte Corina Zolle. Alle mit ernster Miene. Dahinter gephotoshoppte Flammen.
Ein Teil des AbilityWatch Teams im Jahr 2016. Corina Zolle in der Mitte.

Die letzten Wochen waren nicht gerade durch gute Nachrichten geprägt. Die Nachricht, dass Dr. Corina Zolle gestern im Alter von 53 Jahren im rheinhessischen Heidesheim gestorben ist, trifft uns aber so richtig ins Mark. Mit ihrer herzlichen, meist fröhlichen und verbindlichen Art hat Corina Zolle nicht nur viele Initiativen der Behindertenbewegung der letzten 30 Jahre entscheidend mitgeprägt, sondern vor allem auch viele Menschen berührt, die nun um diesen großen Verlust trauern.

“Bereits als Kind wollte ich Medizin – oder so etwas ähnliches – lernen. Sobald ich einigermaßen vernünftig lesen konnte, verschlang ich medizinische Beiträge in sämtlichen erreichbaren Zeitungen. In der Schule war ich, ohne große Mühe, eine der Klassenbesten in Biologie und Chemie. Offenbar hatte ich in diesem Bereich ein wirkliches Talent, und das wollte ich weiter ausbauen”, schrieb Corina Zolle auf ihrer Internetseite. Ihren Wunsch, Medizin zu studieren, hatte Corina Zolle zwar abgehakt, weil man sich damals eine Ärztin im Rollstuhl, die zudem noch kaum ihre Arme bewegen kann, nicht vorstellen konnte. Von der Biologie ließ sie sich aber nicht abbringen und beendete in diesem Fach auch ihr Studium.

Damit dies möglich wurde, spielte die Persönliche Assistenz, die auch ihr weiteres Leben prägte, eine ganz wichtige Rolle. “Während meiner Schulzeit hatte ich vom ‘Heidelberger Modell’ der persönlichen Assistenz gehört. Als ich 1986 in Mainz mit meinem Studium beginnen wollte, war ich wahrscheinlich die erste, die einen Antrag auf persönliche Assistenz stellte”, berichtete sie auf ihrer Homepage. Das Überwinden von Hürden kennzeichnete sozusagen das Leben von Corina Zolle und so schaffte sie letztendlich auch ihren Doktortitel. “Nach dem Ende meiner Doktorarbeit machte ich mein Hobby zum Beruf und nahm eine Stelle beim Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Mainz an, wo ich zuvor schon jahrelang im Vorstand gewesen war. Dort beriet ich nun aus eigener Erfahrung behinderte Menschen in allen Fragen, die mit Assistenz zu tun haben. Nach kurzer Zeit hatte sich mein Projekt soweit entwickelt, dass insgesamt 12 Mitarbeiter an drei verschiedenen Standorten behinderten Menschen Unterstützung im Zusammenhang mit persönlicher Assistenz anbieten konnten und auf dem politischen Sektor eine ganze Reihe von Veränderungen herbeigeführt wurden, darunter auch dass behinderte Menschen mittlerweile einen Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz haben. Fast sieben Jahre arbeitete ich in diesem Bereich, doch schließlich zog es mich wieder zurück zu meinem erlernten Beruf, so dass ich seit Anfang 2005 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Paul-Ehrlich-Institut arbeite”, schrieb sie damals auf ihrer Homepage.

Letztendlich zog sie aber ihr Herz für die persönliche Assistenz und die damit verbundenen politischen Herausforderungen wieder zurück in die Beratung und in die Behindertenpolitik. Als Geschäftsführerin des Vereins Rhein-Main inklusiv (RMI) beriet sie in den letzten Jahren wieder behinderte Menschen, die ihre Assistenz selbst organisieren wollen. Beratung zur persönlichen Assistenz, Assistenzmanagement/Arbeitgebercoaching, Schulungen im Spracherkennungssystem Dragon NaturallySpeaking und die Hilfsmittelberatung waren dabei ihre Schwerpunkte.

Dabei behielt Corina Zolle aber auch stets die politische Entwicklung und letztendlich den Kampf für das Bundesteilhabegesetz und desssen Umsetzung im Blick. Sie war bei Veranstaltungen auf Landes- und Bundesebene präsent, wirkte an der Organisation von Protestaktionen mit und protestierte überzeugend und beherzt gegen die Beschränkungen für Assistenznutzer*innen beispielsweise durch die Anrechnung des Einkommens und Vermögens. Und das tat sie auch noch, nachdem ihr die Krebserkrankung schon erhebliche Grenzen und körperliche Herausforderungen auferlegte – dann eben von zu Hause aus mit Telefon, Mail und Facebook. Trotz all dieser massiven gesundheitlichen Herausforderungen hatte sie immer noch ermutigende Worte und ein Lächeln parat, wenn man mit ihr telefonierte. Bis zuletzt war sie als Gründungsmitglied von AbilityWatch oder dem Netzwerks für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz (NITSA) aktiv.

Soweit zu einigen Fakten ihres Engagements. Da ist aber noch viel viel anderes, was man nicht so einfach in Worte fassen kann. Die Tatsache, dass ihre Assistentin Sarah, die viele über den Tod von Corina informiert hat, seit 20 Jahren bei ihr gearbeitet hat und tief mit ihr verbunden ist, steht für viele sehr tiefe Beziehungen, die das Leben von Corina Zolle prägten und durch die sie viele Menschen berührte. Sie machte es einem leicht, sie zu mögen und sie verkörperte trotz all der Herausforderungen eine Leichtigkeit, die einen einfach mitmachen ließ, wenn sie eine Idee hatte. Dabei strahlte sie meist eine Ruhe aus, die Sicherheit gab. Auch wenn sich Corina Zolle in den letzten Jahren ihrer Krebserkrankung nicht mehr jeden Schuh anziehen konnte, den sie wahrscheinlich gerne getragen hätte, und immer wieder betonte, dass nun die Jüngeren ran müssen, blieb sie tief mit der Selbstbestimmt Leben Bewegung und den vielen Menschen verbunden. Und das weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Corina Zolle liebte das wärmere Klima. Da ihr gerade in den Wintermonaten das ohnehin schon mildere Klima in Rheinhessen zu schaffen machte, zog es sie häufig gen Süden und ans Meer. Dort traf sie zum Beispiel immer wieder Dr. Adolf Ratzka aus Schweden und andere aktive behinderte Menschen, so dass sie meist wieder inspiriert und gestärkt zurück nach Deutschland kam. Diese Auszeiten waren auch motivierendes Futter für sie, denn die interantionale Arbeit war ihr immer wichtig. Es gab einfach so viel, was man in Sachen Selbstbestimmung behinderter Menschen und Assistenz von anderen lernen, aber auch an andere weitergeben konnte. So hat sie immer wieder Kontakte in andere Länder, wie Norwegen oder Spanien, hergestellt und Menschen zusammengebracht.

Nun hat Corina Zolle den Staffelstab endgültig abgegeben und an diejenigen weitergereicht, die ihren eigenen Kampf für ein selbstbestimmtes Leben mit Behinderung führen müssen – und, wie sie hofft, dabei auch andere unterstützen und für deren Rechte mitkämpfen. Für die Trauerfreier hat Corina Zolle in der ihr eigenen Art ganz konkrete Pläne gemacht, bis dahin, wo man parken kann. Das Corona-Virus hat dem nun erst einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber Corina Zolle kann sich sicher sein, dass die Behindertenbewegung und die mit ihr verbundenen Menschen in der Nach-Corona-Zeit einen guten Ort und Zeitpunkt finden werden, an sie zu denken, um sie zu trauern, aber auch die schönen Zeiten mit ihr in Erinnerung zu rufen. Bis dahin erst einmal bye bye Corina Zolle.

Dieser Nachruf erschien zuerst auf Kobinet-Nachrichten von Ottmar Miles-Paul.