Ich bin Anfang dreißig, habe zwei Studiengänge absolviert, nebenbei eigentlich immer gearbeitet. Ich bin mit zwanzig Stunden angestellt und mache nebenbei noch einiges freiberuflich. Ich treffe Freund*innen, gehe gern auf Konzerte und Festivals und netflixe. Norwegen, Russland, Griechenland, Italien, Spanien, Portugal über USA und Island – ich habe zahlreiche Länder dieser Welt besucht. 

Immer dabei: ein Beatmungsgerät. 

Denn ich lebe mit einer Muskelerkrankung, die fast jeden meiner Muskeln lahm legt, auch die, die fürs Atmen zuständig sind. Deshalb mache ich alle Aktivitäten im Rollstuhl. Für alle Dinge, die ich selbst nicht kann, habe ich Assistenz und seit 19 Jahren, also mehr als mein halbes Leben lang, benutze ich nachts ein Beatmungsgerät. Doch wenn es nach einem Vorhaben der Bundesregierung geht, dann ist mein aktives und soweit normales Leben bald vorbei. Denn dann soll ich in eine Spezialeinrichtung, damit vermeintlich endlich die Qualität meiner Beatmung stimmt und kein Missbrauch stattfindet. 

Dabei bedeutet meine Beatmung für mich, Freiheit und aktiv am Leben teilhaben zu können. Das war nämlich nicht immer so. Als ich Teenager war, merkte meine Mutter, dass ich nachts unruhig schlafe und morgens schweißgebadet aufwachte. Sie wusste, dass dies Anzeichen dafür sind, dass man nachts nicht genug Sauerstoff bekommt. Das ist bei meiner Muskelerkrankung nicht selten. Wir gingen zum Arzt und der stellte fest, dass meine nächtlichen Werte sehr schlecht seien und ich eine Beatmung bräuchte. Der Termin zur Eingewöhnung wäre am nächsten Tag gewesen und hätte eine Woche Krankenhaus bedeutet. Doch das wollte ich nicht. Ich hatte gerade die Schule gewechselt und war endlich unter nicht-behinderten Jugendlichen angekommen. Ich wollte unbedingt zur Schule. Außerdem stand ein Auftritt mit meiner Schülerband an, den ich auf gar keinen Fall verpassen wollte. Also sagten wir den Termin ab – sehr zum Unverständnis der Ärzte. 

Ein paar Monate später wachte ich oft völlig gerädert auf, hatte Kopfschmerzen und mir war schwindlig. Oft konnte ich erst später zur Schule gehen. Also war es Zeit für eine Beatmung. Wir machten einen Termin aus und in meiner Erinnerung hat es drei Atemzüge gedauert, bis ich annehmen konnte, dass da eine Maschine für mich atmet. Ein paar Tage wurde an den Einstellungen optimiert und dann ging es mit der Maschine nach Hause. Für immer, denn eine Entwöhnung ist bei mir nicht möglich.

Ab diesem Zeitpunkt konnte ich wieder jeden Tag um 5.30 Uhr aufstehen und zur Schule gehen, Freunde treffen und alle Dinge tun, die man als Teenager und junge Frau halt so macht. Ich musste nie wieder wegen einer Bronchitis, gar Lungenentzündung ins Krankenhaus, weil meine Lungen besser durchlüftet werden. Meine Beatmung sorgt dafür, dass ich tagsüber die Power habe, selbst zu atmen, weil sich die Muskeln regenerieren können. Atmen ist quasi mein täglicher Ironman. 

Das erste Atemgerät hatte noch einen Blasebalg in sich, mittlerweile steht ein kleines Gerät auf meinem Nachttisch, dass sogar einen Red Dot Award gewonnen hat. Ein Schlauch führt in mein Bett an dessen Ende zwei Stöpsel sind, die man mir in meine Nase steckt. Zur Befestigung wird ein Band über meinen Kopf gezogen. Meine Assistentin stellt das Gerät mit einem Knopfdruck an und wieder aus. Klar, es müssen ein paar hygienische Dinge beachtet werden, aber das ist jetzt auch keine Raketenwissenschaft. Die Komplexität entspricht eher dem Wechsel eines Staubsaugerbeutels. 

Mir ist bewusst, dass ich mich verständlich äußern kann und dass das nicht auf jeden Menschen mit Beatmung zutrifft. Hier braucht es Qualität und geschultes Personal, keine Frage! Doch gerade dann ist es wichtig, Assistenz zu haben, die den Menschen gut kennt. In einer Einrichtung, in der, wenn überhaupt, eine Pflegekraft auf vier behinderte Personen kommt, ist das nicht gegeben. Neulich habe ich mich auf der Arbeit am Käsebrot verschluckt. Einfach so. Innerhalb von ein paar Minuten war meine Lunge voller Schleim und mir fiel das Atmen schwer. Meine Assistentin wusste, dass es mir persönlich am besten hilft, mich hinzulegen. Das ist das Gegenteil davon, was in jedem Lehrbuch steht. Ich musste nur Nicken und sie wusste, was zu tun ist. Innerhalb von 10 Minuten war alles wieder gut. Kurz haben wir beide überlegt, ob wir einen Krankenwagen rufen müssen. Doch dann fiel uns ein, dass ganze zwei Krankenhäuser in Berlin überhaupt wissen, was ein Cough Assist ist – ein Gerät, dass Husten bei Menschen simuliert, denen dafür die Kraft fehlt.

Ein Absauggerät, dass vielleicht auch geholfen hätte, ist aber nicht standardmäßig in jedem Krankenwagen. Herr Spahn: hier wäre Potential für bessere Qualität! Die käme dann auch wirklich bei den betroffenen Menschen an.

Bisher hatte ich wenig Angst, einmal dauerhaft auf Beatmung angewiesen zu sein. Doch seit vorgestern ist das anders. Danke Herr Spahn! Denn wenn es nach ihm geht, müsste ich in ein Heim ziehen. Ich könnte nicht morgen ganz früh auf Dienstreise fahren. Ich könnte nicht ins Büro fahren, wenn es das bedarf. Ich könnte nicht noch spontan mit Freunden Bier trinken gehen oder mit einem Date nach Hause kommen. Ich könnte nicht all die Orte bereisen, an denen noch nie ein Rollstuhlfahrer zuvor gewesen ist (meine jeweilige Challenge). Ich könnte nicht mal einfach aufs Klo gehen, wenn ich muss, essen was und wann ich mag und erst recht nicht weit nach Mitternacht ins Bett gehen und bis nachmittags schlafen. 

Es hat also weder mit Inklusion noch mit Qualität zu tun, was die Bundesregierung gerade plant. Für uns Betroffenen ist das Gesetzesvorhaben ein enormer Einschnitt in die Lebensqualität und widerspricht jeglichen Rechten auf Selbstbestimmung. Aber dank Beatmung werde ich genug Power haben, dagegen zu kämpfen.


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