Matthias Grombach mit Megaphone.

Matthias Grombach Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

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Constantin: Erklär doch kurz, was dir passiert ist. Du hattest einen Badeunfall, bist dadurch querschnittgelähmt und deine Familie hat sich jahrelang um dich gekümmert. Was ist dann passiert?

Matthias: Meine Eltern konnten mich irgendwann aus gesundheitlichen Gründen, und weil sie schon damals relativ alt waren, nicht mehr versorgen. Dann war ich zu diesem Zeitpunkt gerade auch noch im Krankenhaus. Ich konnte nicht mehr nach Hause zurück, deshalb musste eine schnelle Lösung gefunden werden. Mein Vater wandte sich an das Sozialamt, die schlugen eine stationäre Versorgung vor und suchten einen Heimplatz für mich. Da zu diesem Zeitpunkt nur ein Platz in einem Seniorenheim frei war und die Zeit drängte, und ich auch nicht unendlich lange im Krankenhaus bleiben konnte, stimmte ich einer kurzzeitigen Unterbringung zu. Schlussendlich musste ich 4 Jahre in diesem Seniorenheim verbringen,- 3 Jahre gegen meinen erklärten Willen. Nach einem Jahr im Seniorenheim stellte ich Antrag auf ein persönliches Budget, um in einer eigenen Wohnung mit Unterstützung durch persönliche Assistenten selbstbestimmt leben zu können. Dieser Antrag wurde aus Kostengründen abgelehnt. Ich nahm mir einen Anwalt, ging in Widerspruch und vor Gericht. Vor Gericht verbrachte ich dann sage und schreibe 4 Jahre bis die zuständige Richterin entschied, dass mir eine stationäre Versorgung, auch auf Grundlage Art. 19 UN-BRK, nicht zuzumuten ist. Das war der Startschuss für mein selbstbestimmtes Leben als behinderter Mensch. Ich zog in eine rollstuhlgerechte Wohnung, und beschäftige als Arbeitgeber eines Assistenzmodells schon seit über 7 Jahren persönliche Assistenten für meine Versorgung.

Constantin: Was ist das für ein Gefühl als 29 Jahre junger Mensch in einem Altenheim zu leben?

Matthias: Das ist skurril und sehr unwirklich! Die anderen Bewohner hätten locker meinen Großeltern und teilweise sogar meine Ur-Großeltern sein können. Ich habe mein Leben noch vor mir. Am Anfang habe ich mir noch gesagt; „Na ja, du bist ja nicht lange hier.“. Als sich dann aber herauskristallisierte, dass ich dort nicht so schnell wieder herauskomme, war das der blanke Horror für mich. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich einer auch nur zeitweisen Unterbringung nicht zugestimmt. Ich habe mich so abgestellt gefühlt, so abgeschottet von allem. Vor allem auch so bevormundet. Die Tage verliefen so stupide vor sich hin. Mehr oder weniger immer wieder der gleiche Trott, indem ich mich lediglich mit Radio hören, Fernsehe gucken, lesen und Internet irgendwie beschäftigen konnte. Das war für mich alles andere als erfüllend. „Und das soll jetzt mein ganzes Leben lang so weitergehen?“, habe ich mich so oft gefragt. Zum Glück hatte ich einige wenige aber gute Freunde die mir in langen Gesprächen und Korrespondenzen beigestanden und immer wieder Mut gemacht haben. Es gab viele schlaflose Nächte. Es hat mich viel Schweiß, Blut und Tränen gekostet, bis ich endlich selbstbestimmt leben konnte. Gerade im Nachhinein betrachtet, haben mir der Staat, das Land und dessen Ausführungsorgane aus Kostengründen sehr viel Lebenszeit gestohlen. Was mich noch heute unendlich frustriert, gerade wo ich jetzt sehen, was mir dadurch alles vorenthalten wurde.

Constantin: Im letzten Jahr wurde ein neues Gesetz beschlossen, dass das Leben für behinderte Menschen besser machen sollte. Können solche Situationen, wie sie Dir begegnet ist, auch nach dem neuen Gesetz auftreten?

Matthias: Ja, definitiv! Wahrscheinlich sogar verschärft. Das Gesetz hält lange nicht das was uns versprochen wurde. Auch nicht das was im einleitenden Text dazu steht. Es wurden nur einfach viele Dinge neu strukturiert – zu Gunsten der Kostenträger nicht der Betroffenen – und da wo es kein Geld kostet, hat der Staat Texte im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention einfließen lassen, um den Anschein zu erwecken, diese umzusetzen. Das tun er aber mitnichten. Wir haben weiterhin den Mehrkostenvorbehalt,- nur anders formuliert -, die Anrechnung von Einkommen und Vermögen und ein Wunsch- und Wahlrecht was durch das „Zwangspoolen“, und dadurch das schlussendlich der Kostenträger das letzte Wort hat, geschwächt wurde.

Constantin: Warum ist es dir so wichtig, diese Problematik öffentlich zu machen? Welche Gefahren siehst du für Betroffene und die Gesellschaft?

Matthias: In erster Linie liegt mir das Thema am Herzen, weil ich leider selber die Erfahrung machen musste, wie mit Menschen mit Behinderungen,- selbst in einem reichen Land wie Deutschland -, „aus Kostengründen“ umgegangen wird. Menschenrechte unter Kostenvorbehalt gestellt und damit ganze Leben zerstört werden. Die Luft da draußen ist rau, insbesondere wenn es um Geld geht. Es wird von Seiten der Politik und der Verwaltung gelogen und betrogen bis sich die Balken biegen. Oft ist kein Argument zu abwegig. Behinderte Menschen werden so für Ihre Behinderung bestraft für die sie in der Regel nichts können. Ich wünsche keinem in die schreckliche Situation zu kommen in der ich war. Hilflos, fremdbestimmt und unter Kostenvorbehalt gestellt. Wie ein Stück Vieh, dass man kostengünstig vermarktet. Das ist unmenschlich, abartig und pervers, deshalb gehe ich dagegen vor.

Die Gefahren für die Betroffenen und die Gesellschaft bestehen darin, dass Menschen mit Behinderungen weiterhin diskriminiert werden, und dass sogar mit der Legitimation des Staates. Das Menschen mit Behinderungen kein selbstbestimmtes Leben führen können, d.h. u.a., keine Familie und keine Kinder haben zu können, immer in Abhängigkeit Leben zu müssen und vom Leben in der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein. So kann man nie sein eigenes Leben führen, es wird einem geführt. Und das will niemand wirklich.

vom 10.05.2017